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Die falsche Entscheidung

Gestern hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, welches ich nicht nur kommentieren möchte, sondern auch mit persönlichen Konsequenzen verbinden will. Sie betrifft Meinung & Konsequenz sind hier im folgenden Schreiben an den CDU Kreisverband der Stadt Oldenburg nachzulesen. Der Titel ist doppeldeutig, und wurde von mir bewusst gewählt. Erst in Jahrzehnten wird man wissen, ob gestern ein kleiner Schlag eines Schmetterlings stattfand, der in der Zukunft schwerwiegende Konsequenzen für uns alle haben wird oder ob wir Glück haben werden. Aber am Ende erwarte ich von Volksvertretern, dass sie vernüftig entscheiden und nicht auf das Prinzip Hoffnung bauen.

Sehr geehrte Vertreter des CDU Kreisverbandes, lieber Olaf,

Leider habe ich mich nach langer Überlegung nach nun 20 Jahren entschlossen aus der CDU auszutreten.

Zur Begründung:

Ich war – auch wenn ich nicht immer der selben Meinung war – immer davon überzeugt, dass die CDU meine politische Heimat darstellt. In vielen Aspekten fühle ich mich auch heute noch der CDU politisch am nächsten, aber es seit Jahren beobachte ich eine gewisse Gedankenlosigkeit im Bereich der Bürgerrechte, Datenschutz und der Entwicklung zur medialen Wissensgesellschaft, die nicht mehr akzeptabel ist.

Zu meinen Hintergrund:

Seit 1983 bin ich aktiv im Bereich Datenschutz und Computer-Sicherheit tätig. So habe Vorträge zu diesen Themen gehalten, Artikel verfasst und war mehrere Jahre aktiv als Vorsitzender des Chaos Computer Clubs und als solcher auch Mitglied im früheren Internet-Medienrat und in vielen Arbeitskreisen z.B. von Datenschutzbeauftragten.

Schon als die Entscheidung über die Vorratsdatenspeicherung vor einigen Jahren anstand, war ich mit der Einstellung der CDU sehr unzufrieden und habe hier in Arbeitskreisen auch versucht auf Probleme und Alternativen hinzuweisen. Dies tat ich als Unternehmen im Bereich der Internet-Industrie genauso wie als besorgter Bürger.

Mit dem aktuellen „Zugangerschwerrungsgesetz“ wurde nun ein Gesetz eingebracht und gestern beschlossen, welches zum erstenmal eine zensurartige Infrastruktur in Deutschland schafft – aus welchen gutgemeinten Anlass auch immer. Dies stellt ein Bruch der Tradition der CDU dar, den ich so in keinster Weise mehr unterstützten kann.

Das Einverständnis besonders der – sonst von mir hochgeachteten – Familien- ministerin und Ihre Äusserungen der letzten Tage, haben dann leider die endgültige Entscheidung bei mir reifen lassen.

Meines erachtens darf Gegnern des Gesetzes nicht „Zynismus“ vorwerfen. Man sollte – nach Recherche in Lexika – feststellen, was Zensur objektiv bedeutet. Es ist eine Sperrmassnahme bei dir auf Grund einer staatlichen Entscheidung Inhalte blockiert werden. Das sollte man nicht „schön reden: Diese stellt Zensur dar, die gemäß unserer Verfassung verboten ist. Schon als dies vor 20 Jahren diskutiert wurde im Hinblick auf die Usenet-Foren wurde gewarnt: Andere Länder nehmen das als Anlass eigene Sperrmassnahmen zu begründen, wie es dann einige Jahre später China auch tat und heute die iranische Regierung.

Nochmal: Es geht um ein Grundprinzip, der Verteidigung unserer Verfassung und dem was wir aus der Geschichte gelernt haben. Man würde heute ernsthaft keine Todesstrafe für Kinderschänder fordern oder Ihnen die Möglichkeit von entsprechend beschuldigten vor Gericht einschränken.

Die CDU wäre eine der Parteien, die dagegen wäre unsere Freiheit und demokratischen Grundprinzipien zugunsten von Sicherheit oder anderen Argumenten zu opfern. Wieso dieser „Instinkt“ der CDU in den letzten Jahren verloren gegangen ist, wage ich nicht zu beurteilen.

Es mag just in diesen Gesetzesfall gute Argumente geben, dass die Gesellschaft hier sagt „So nicht“. Allerdings hätte ich mir nicht nur gewünscht, sondern sogar erwartet, da die Gesellschaft entscheidet aktiv gegen Kinderpornographie vorzugehen und nicht – auch nicht als letzte Massnahme – „wegzuschauen“. Das derzeitige Gesetz sagt aber genau das aus.

Ich hatte viel mit Strafverfolgungsbehörden zu tun, nicht nur in Deutschland. Die übereinstimmende Meinung ist, die Kinderpornographie – auch im Internet – ist verfolgbar, wenn der politische Wille da ist, die entsprechenden Massnahmen durchzuführen und entsprechendes geschultes Personal zur Verfügung zu stellen. Viele Organisationen haben in den letzten Wochen gezeigt, dass die Abschaltung und Verfolgung von solchen Kinderpornographischen Seiten die auf Sperrlisten z.B.a us skandinavischen Ländern standen möglich war – mit geringen Mitteln.

Dieses Gesetz dient am Ende dem Schutz der Täter, da diese im verborgenden weiter agieren können. Sie dient in keinster Weise dem Schutz oder gar Rettung der Opfer !

Aber das ist nur der inhaltliche Aspekt, es gibt eine weit aus „fundamentalere“ Sicht, die ich aus der Geschichte ziehe: Jede gute Absicht, die sich nicht an den absoluten Masstab der „wehrhaften Gesellschaft“ orientierte, endete in einer Katastrophe.

Heute ist übereinstimmende Meinung, das Rätesystem in der Sowietunion oder die SED-Herrschaft in der DDR waren eine Diktator und ein Unterdrückungssystem – und das stimmt. Genauso wie sich heute rausstellt, dass das theokratische System ohne Zweifel eine solche Unterdrückung darstellt.

Aber die Menschen die in die Ostzone gingen um Ihre Gesellschaft 1945 aufzubauen, die Menschen die mit Lenin auf den Barrikaden standen oder auch die Menschen die den Schah in Persien vertrieben – alle diese hatten Ideale. Die meisten gingen daran eine neue Gesellschaftsform aufzubauen um aus der Vergangenheit zu lernen. Sie hatten gute Gründe gegen Faschismus und gegen Unterdrückung vorzugehen. Aus dieser Erfahrung schuffen sie Strukturen, Gesetze, Organisationen die dann leider zu leicht zu misbrauchen waren und damit ihre eigene Möglichkeit Fehlentwicklung zu stoppen beeinträchtigte. Viele dieser Menschen wurden später Opfer der Strukturen, die sie selbst schuffen. Diese Menschen haben damals falsche Entscheidung getroffen und aus dem Augenblick gehandelt. Wehrhafte Demokratie bedeutet auch unwahrscheinliche Szenarien im Blick zu behalten.

Dies macht es für mich so „fundamental“, was die Bundestagsfraktion der CDU gestern unter Federführung des Wirtschaftsministeriums und mit Unterstützung des Innen- und des Familienministeriums beschlossen hat. Auch der am Ende geschlossene Kompromiss ändert daran nichts. Grundprinzipien sind nicht verhandelbar und waren es früher auch für die CDU nicht – man möge sich nur daran erinnern, was ohne das Grundprinzip der CDU an der Einheit festzuhalten 1989/1990 noch möglich gewesen wäre. Es ist daher zynisch die Verteidigung under Verfassung und das Prinzip der wehrhaften Demokratie als „Unterstützung der Kinderpornographie“ zu brandmarken.

Die Erkenntnis, dass an Grundprinzipien festzuhalten sich auszahlt, hat mich 1989/1990 bewogen Mitglied in der CDU zu werden. Die Erkenntnis, dass die CDU das nicht mehr tut bewegt mich nun auszutreten.

Wenn Sie meine – inhaltliche Meinung – zum Thema interessiert, so können Sie diese auf meinen Blog

www.www.websalon.de

im Beitrag „Kinderpornographie, Raubkopierer, Andersdenkende“ nachlesen.

Wie ich jedoch nun wie anfangs gesagt mitteilen muss, erkläre ich hiermit meinen Austritt aus der CDU.

Mit freundlichen Grüßen

Frank Simon

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