Lesezirkel
Feeds
alle Blogeinträge mit RSSalle Blogeinträge mit AtomBlogeinträge (RSS)
alle Kommentare mit RSSalle Kommentare mit AtomKommentare (RSS)

Kinderpornographie, Raubkopierer, Andersdenkende

Das Thema Internet Zensur ist ein sehr schwieriges Thema und das nun schon seit 30 Jahren seitdem es mich begleitet. Seit einigen Jahren haben die Regierungen ein Weg gefunden diese durchzusetzen, so das es auch gesellschaftlich akzeptiert wird – über das Thema „Sperrlisten gegen Kinderpornographie“. Seitdem wird jeder Versuch sich als Gegner von Internet Zensur (nichts anderes sind Sperrlisten) zu outen als Befürwortung oder gar Unterstützung von Kinderpornografie gewertet.

Eine perfide Strategie, die leider aufgeht.

Gerade zu diesen Thema gibt es wenig gute Beiträge im Netz und so hat mich der Artikel der Heise-Redakteure Holger Bleich und Axel Kossel auf SPIEGEL Online sehr gefreut. Er argumentiert fundiert und sachlich korrekt und legt die Finger auf die Wunde. Die Länge des Beitrages zeigt aber auch die Komplexität des Sachverhalts. Das macht es manchmal schwer, das Für- und Wider wirklich abzuwägen. Besonders da vieles was von Politischer und anderer Seite dazu gesagt wird, am Ende kurzsichtig und verlogen – sorry, wissentlich unwahr – dargestellt wird.

Meine herangehensweise an das Thema war da schon immer fundamentalistischer:

Die Aufgabe der Polizei ist Rechtsverstösse zu verfolgen und die Schuldigen zu identifizieren, damit Opfer geholfen werden kann und die Verursacher angemessen bestraft werden. Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist anschliessend eine Verurteilung zu erreichen, in dem Sie Beweise vorlegen.

Die Politik arbeitet aber derzeit im besten Fall nach dem Prinzip „Was man nicht sieht, stört niemanden“. Im schlimmsten Fall ist es sogar der Versuch ganz andere Interessen zu verfolgen.

Halten wir das ganz deutlich fest:

  • Kinderpornographie und auch Bilder nackter Kinder existieren und das Internet macht es fast so einfach darauf zuzugreifen, wie früher am Kiosk oder bei eBay eine Ausgabe der „Sonnenfreunde“ zu kaufen
  • Sie wird primär anonym und verdeckt und ausserhalb des Internets verkauft und getauscht
  • Schon den betroffenen Kindern ist geschuldet, dass man die Verursacher aufspürt und ihnen Treiben ein Ende bereitet

Unsere Politik hat sich bewusst entscheiden, dass alles nicht zu fördern.

Man kann immer sagen, im Internet kann man ja keine vollständige Sicherheit erreichen, aber man müsse trotzdem etwas dagegen tun. Das ist sicher nicht falsch, muss sich aber an der Zielgruppe und an den Kolletarialschäden bewerten lassen. Die „Zielgruppe“, um die es hier geht, kennen Internet Anonymisierungsdienste nur zu gut und nutzen für die eigentliche Verbreitung die Post und nicht das Internet.

Wieso fordert also niemand Sperrlisten für die Post, schliesslich stehen auf den meisten Briefe auch Absender ? Wieso wird nicht geprüft, ob bekannte Verbreiter von Kinderpornographie hier Briefe verschicken und an wen ?

Es besteht selbstredend die Gefahr, dass Personen die im selben Haus wie solche Leute wohnen auch keine Briefe mit Geburtstagsgrüsse an ihre Verwandten mehr schicken können. Dies wird bei den Internet Sperrlisten allerdings auch hingenommen, da andere virtuelle Hosts mit gleicher IP Nummer gesperrt werden. Solche Kolletarialschäden sind bei dem Thema nicht unüblich, so geschehen vor 20 Jahren. Damals wurde im Rahmen der Sperrung von Usenet-Foren durch Universitäten mit angeblichen Pornomaterial gleichzeitig Foren gesperrt, in denen sich  Vergewaltungsopfer anonym austauschen und versuchten sich gegenseitig zu helfen, sowie ein Forum wo man sich über militärisch nutzbare Forschung an Universitäten kritisch äusserte.

Natürlich wäre es auch denkbar, dass eine Post-Sperrliste im ausgebaut werden. Wenn man jeden entsprechenden Brief öffnen, kann man feststellen, ob ein strafbarer Akt vorliegt oder nicht. Am Ende ist dies auch nur ein „menschlicher Proxy“ im Internet der genauer prüft, ob es sich um Kinderpornoseiten haben nichts anderes.

Polemik ?  Kann man damit abtun, aber überlegen wir mal: Wir würden damit die wirklichen Verbreitungswege treffen und neben den Verbreitern auch die Konsumenten ermitteln können. Der Gedanke ist auf jeden Fall nicht so fern, dass man damit rechnen sollte, dass Politiker diese Idee nicht auch eines Tages entwickeln. Bekanntlich höhlen auch kleine Tropfen den Stein und die Internetfreiheit als Grundprinzip ist ja schon gefallen – sogar ohne Gesetzesgrundlage.

Die Folgen der Sperrlisten enden aber damit nicht. Vor mehreren Jahren war ich Teilnehmer eines Arbeitskreisen mit Staatsanwaltschaften, Strafverfolgungsbehörden, Providern und Datenschützern. Thema der Runde war die Vorratsdatenspeicherung. Damals wurde häufig schon die Kinderpornographie-Karte gezogen, wobei ich die Betroffenheit und den ehrlichen Wunsch die Schuldigen zu finden der Staatsanwaltschaft ohne Bedenken glaube. Damals gaben wir Provider folgendes zu Protokoll: Wenn es eine Vorratsdatenspeicherung geben würde, wird  Endedies am die Verfolgung der Kinderpornographie schaden. Es wird Begehrlichkeiten wecken. Insbesondere die Musikindustrie wird dies nutzen um ihr veraltetes Geschäftsmodell zu verteidigen und Nutzer von raubkopierter Musik zu identifizieren. Die Staatsanwaltschaften würden überschwemmt werden mit Anzeigen. Damit würden die Strafverfolgsungsbehörden und Provider würden dann nicht mehr dazukommen, die Kinderpornographie zu bekämpfen.

Es dauerte nicht lange und die Begehrlichkeiten waren geweckt, die Anfragen der Musikindustrie erreichte die Politik und die ersten Staatsanwälte weigerten sich das mitzumachen. Nachdem das Problem im Raum steht, wird ja nun diskutiert, daß die Privatwirtschaft auch ohne Richterbeschluss auf die Daten zugreifen können soll.

Mit den nun eingeführten Sperrlisten wird das nicht viel anders sein. Anders als bei der Kinderpornographie, sind hier die Nutzer die wenig technische Ahnung besitzen viel zahlreicher und damit wäre die Aufnahme entsprechende Webseiten aus Sicht der Musik- und Filmindustrie auch noch interessanter. Ein Zufall, dass gerade dieses Mittel von der Politik ausgewählt wurde um Kinderpornographie zu bekämpfen ?

In einen alten Beitrag – sicher 20 Jahre alt – schrieb ich zum Thema Sperrlisten, dass diese ein grosser Fehler für uns als Gesellschaft und unsere moralische Rechtfertigung wäre, auf die Zensur anderer Länder zu reagieren.

Damals haben nur Ländern wie China eine Zensur in Computernetzen ausgeübt. Sobald wir Sperrlisten gesetzlich rechtfertigen, würden andere Länder „ihre“ Sperrlisten ebenso mit ihrer nationalen Gesetzeslage begründen. Wer Sperrlisten rechtfertigt, verliert den Anspruch die Freiheit des Internets und den freien Zugang zu Internet auf Basis von Meinungsfreiheitzu fordern.

Nicht Recht und Gesetz und die Kraft der Freiheit der Gesellschaft werden hier propagiert, sondern die Möglichkeiten des Staates regulierend und bevormundend einzugreifen.

Ich habe Respekt vor der Arbeit der Familienministerin und auch weitgehend des Innenministers und ich selbst bin auch Mitglied in der CDU. Jedoch sind Äusserungen wie von Hans-Peter Uhl und Massnahmen wie die Familienministerin sie eingeleitet unverantwortlich.

Es gibt ja den alten Grundsatz, dass derjenige der in einer Debatte als erstes das „Dritte Reich“-Argument einbringt, hat per Definition die Debatte verloren. Trotzdem kann und will ich hier auf diese Überlegung nicht verzichten und propagiere den seit 20 Jahren:

Als freie Gesellschaft haben wir uns auferlegt, unsere freiheitlich demokratische Grundordnung zu verteidigen. Dieses Recht haben wir uns auch in das Grundgesetz in Artikel 20, Absatz 4 geschrieben.

Diese Regelung halte ich für eine Botschaft an jetzige und zukünftige Generationen, dass man die Freiheit auch verteidigen muss. Nun geht es mir nicht darum wg. der Sperrliste zum Widerstand aufzurufen. Dieser Artikel im Grundgesetz ist zu bedeutend und die Erkenntnis wurde mit Millionen von Toten erkauft. Als Rechtfertigung für jeglichen Widerstand reicht er nicht. Er stellt aber einen grossen Beleg dar, dass wir aus der Vergangenheit gelernt haben sollten.

Daher machen wir uns folgendes bewusst:

Widerstand braucht Zeit. Es braucht Zeit sich zu organisieren, er braucht Möglichkeit der Kommunikation und so vieles mehr.

Vorratsdatenspeicherung und Sperrlisten sind organisatorische und technische Strukturen, die nur und ausschliesslich noch durch jene beschränkt werden, die dafür politisch verantwortlich sind.

Sollte es je wieder soweit kommen – was hoffentlich nie geschieht – das eine politische Partei oder Clique an die Regierung kommt, die ihre Macht missbrauchen will, geben wir ihnen ganz neue Möglichkeiten an die Hand.

Dann muss uns klar – egal ob man sich dann an den Ideologien von Nationalsozalisten oder Kommunisten orientieren würde – das nur wenige Massnahmen notwendig sind, den Überwachungsstaat zu etablieren. Dazu gehört dann die, dass die Speicherdauer bei der Vorratsdatenspeicherung nicht mehr begrenzt wird, die gespeicherten Logfiles einsehbar sind, um potentielle Widerständler zu finden und inhaltlicher Analysesoftware auf die Proxies setzen um Kommunikation abzuhören. Desweiteren ist es einfach die Sperrlisten zu erweitern, um politisch unerwünschte Inhalte zu sperren.

Es gibt keine Garantie, dass politisch engagierte Menschen auch das technische Wissen haben solche Sperrlisten zu umgehen. Genauso wenig, dass man schnell genug auf diese Entwicklung aufmerksam machen kann, um die Fehlentwicklungen schon im Vorfeld zu bemerken.

Die Clique im dritten Reich aber auch in der DDR brauchten Jahre um ein Überwachungs- und Spitzelstaat aufzubauen. Wir als Gesellschaft entscheiden uns im Augenblick, dass im schlimmsten Fall der Fälle, dies nur noch Stunden oder Tage dauern wird.

Wer Artikel 20, Absatz 4 ernst nehmen will und die moralische Grundlage zur Kritik von politischer Zensur in anderen Ländern nicht verlieren will, darf die Sperrlisten nicht befürworten. Wer die wehrhafte Demokratie will, muss auch organisatorische und technische Massnahmen untersagen, die einen Missbrauch im schlimmsten anzunehmenden Fall erschwert. Bei uns ist dies primär Aufgabe des Bundesinnenministers und des Bundesverfassungsgerichtes und ich habe keinen Beitrag von diesen je gelesen, dass man sich dieser Verantwortung bewusst ist.

Man muss sich dafür einsetzen, dass das BKA verpflichtet ist die Strafverfolgungsbehörden anderer Länder zu informieren, die Abschaltung der Server zu erwirken, die Schuldigen ausfindig zu machen und zu bestrafen und die Opfer zu helfen und zukünftige Tagen zu verhindern. Das ist unser aller Verständnis von Rechtstaat.

Alles andere ist mit dem Geist des Grundgesetzes, unserer gesellschaftlichen Verantwortung und der Freiheit des Internets nicht zu vereinbaren. Weder den Kindern wird so geholfen, noch die Kinderporno-Distributoren werden aufgehalten. Die Sperrliste und Vorratsdatenspeicherung sind einfache Lösungen auf komplexe Sachverhalte, und die Aufgabe der Politik ist es andere und effektiviere Lösungen zu finden als diese.

Kommentieren ist momentan nicht möglich.