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Die moderne Welt ganz weit in der Vergangenheit

Letztens bin ich über einen Beitrag über eine Schule in Sydney gestolpert, wo die Lehrer bei Prüfungen Spickzettel und Internetrecherche erlaubten. Ein sehr interessanter kurzer Beitrag, der mich wieder an einige Erfahrungen mit dem Internet erinnert hat.

Als ich anfing zu studieren (24 Jahre ist dies nun her), gab es schon Computernetze an deutschen Universitaeten. Sei es das EARN/Bitnet oder UUCP-basierte Netze zum Austauch von E-Mail und News. Auch die ersten Vorläufer des Internet hatten sich bis nach Deutschland verwirrt. Allerdings hatten Studenten damals darauf fast nirgendwo einen Zugriff. Meistens erst im Rahmen der Diplomarbeit erhielt man einen Zugang oder als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Nur wenige Universitäten sahen das anders. Die Universität Karlsruhe gehörte dazu, genau wie jene Universität, an der ich schlussendlich studierte: Der Universität Oldenburg. Anders als bei der Universität Erlangen/Nürnberg wo ich mein erstes Semester verbrachte, erhielt man in Oldenburg sofort und ohne Probleme einen Zugang zum EARN/Bitnet.

Der Grund war der damalige Leiter des Hochschulrechenzentrums Dr. Bernd Wagener. Ein sehr freundlicher (aus meiner damaligen Sicht) älterer Herr, der noch selbst programmieren konnte und einfach sehr technik-affin war. Aber was noch viel wichtiger war seine Einstellung zu den neuen Computernetzen. Er meinte immer, dass Computer-Netze mit einer Bibliothek zu vergleichen wäre. Man kann nicht erst einem Diplomanten Zugang zur Bibliothek gewähren und damit rechnen, dass er weiss wie man sich das Wissen dort erschliesst und effizient zurechtfindet. Genau wie bei der Bibliothek muss Kommunikation und Recherche in einem Computernetzwerk im täglichen Gebrauch erlernt werden.

Als Rechenzentrumsleiter hatte Dr. Wagener nicht nur das Wissen, sondern auch die Möglichkeit aus den Worten Taten folgen zu lassen und so erhielt jeder Student einen Zugang zu diesem Netzwerk. Aktivitäten die darüber hinaus gingen hat er auch gefördert. So hatte ich in der Programmiersprache Rexx auf einr VM/CMS damals ein Mailbox-ähnliches System programmiert – die CHAMAS. Das System schaffte z.B. eine Verbindung zum Subnet und den dortigen Newsfeeds und Teilnehmer im EARN/Bitnet hatten die Moeglichkeiten darueber auch mit der damals „anderen“ Welt zu kommunizieren. Auch traf ich dafuer viele Menschen unter anderem einen Mitarbeiter der ESA, der damals für das EARN/Bitnet eine Software suchte um die Kommunikation zwischen den Forschern des Hipparcos-Forschungssatelliten zu ermöglichen. Damals setzte er diese CHAMAS Software ein. Es war auch der selbe Leiter der half ein erstes Studentenwohnheim mit analoger Standleitung ans Internet anzuschliessen und damit auch das „Internet zuhause“ möglich machte – heute eine Selbstverständlichkeit.

Besonders in den 90iger Jahren führte das dazu, dass besonders Absolventen aus Oldenburg und den wenigen anderen Universitäten mit ähnlicher Einstellung in vielen neuen Internetfirmen anzutreffen waren. Diese Einstellung der dortigen Verantwortlichen führte zu einer grossen Praxiserfahrung und produzierte viele Ideen, die ihren Eingang auch in die wirtschaftliche Entwicklung fanden.

Dabei hatten es die Verantwortlichen nicht leicht ein solches Vorgehen zu rechtfertigen. Damals war Internetnutzung noch abhängig vom Traffic und sehr teuer. Und Studenten erzeugten damit zwangslaeufig hohe Kosten. Aber auch Druck aus Politik und Medien kam immer wieder auf und musste stattgehalten werden

Heute bin ich Dr. Wagener, dem Fachbereich Informatik der Universität Oldenburg – der ähnlich gegenüber seinen Fachbereichsstudenten agierte und den anderen Universitäten sehr dankbar, wie sie die Konsequenz aus den neuen Möglichkeiten im Hinblick auf Bildung und wirtschaftliche Entwicklung zogen.

Zurück zu der Geschichte der Schule aus Sydney, der er zeigt, dass diese Einstellung auch heute noch Seltenheitswert hat. Das letzte Universalgenie hat vor Jahrhunderten gelebt, weil der Mensch einfach nicht mehr alles Wissen in seinem Gehirn präsent haben kann. Man kann nicht seit Jahrzehten davon reden, dass die Welt komplizierter wird, es nie so leicht war an Wissen über das Internet zu kommen und das das Weltwissen explodiert ohne daraus die Konsequenzen zu ziehen.

Schüler müssen realistisch lernen. Dazu gehört auch, dass sie waehrend Prüfungen Wissen im Internet recherchieren können. Dazu gehört aber auch, den Wert des Urhebers zu respektieren, korrekt zu zitieren und zu verweisen und gute und schlechte Information unterscheiden zu lernen. Ebenso wie man Suchmaschinen effizient nutzt und welche weiteren Informationsquellen es gibt. Denn genau das wird später im Berufsleben verlangt.

„Man muss nicht alles wissen, aber wissen wo man es nachschlagen kann“

Schon Albert Einstein wird dieses Zitat zugeschrieben, wobei die Ursprüngliche Version wohl eher Georg Simmel stammen soll.

Übrigens ist dieses Hang an althergebrachtem zu kleben, auch wenn sich die Praxis ganz anders entwickelt, kein Vorrecht unseres Bildungssystems:

Wenn man einen Schritt weiterdenkt, ist es dasselbe Problem mit der Musik- und Filmindustrie. DRM, Gängelung und Kriminalisierung Ihrer Kunden basiert nur auf dem Gedanken zu bestimmen, was man mit seinem Eigentum machen darf. Wenn ich früher eine Schallplatte kaufte, habe ich sie verliehen oder auf Kassette ueberspielt um sie im Auto zu hören oder in einem Walkman.

Natürlich ist das alles durch die Digtialisierung viel einfacher geworden, aber auch die Orte wo und wie wir Musik hören oder Filme sehen wollen haben sich einfach geändert. Diese Industrie lebt genau dort, wo auch weitgehend unser Bildungssystem lebt: Tief, Tief in der Vergangenheit.

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