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Netiquette wo bist du geblieben

Das Leben als Internet Dienstleister hat einen Aspekt, auf den sicher jeder gern verzichten würde: Den gemeinsamen und freilaufenden DAU.

Es gibt viele Geschichten über die „dümmsten anzunehmenden User“, jenen DAU der nicht weiss, dass er nichts weiss. Viele Geschichten handeln davon, dass offensichtliche Fehler von diesem User mit Computern zu einer lustigen Geschichte führen. Wer kennt sie nicht, die Geschichten von Nutzern die mit Tippex Tippfehler auf dem Bildschirm korrigieren oder beim T-Online Support anrufen und sagen „Ich habe das Internet gelöscht“.

Diese Geschichten sind lustig (ausser für jenen der hier Lieferant der Geschichte oder Legende wird). Aber eigentlich sind diese Nutzer nicht jene DAUs, die ich meine.

Ich meine eher jene, die subtiler ihr bedenkliches Verhältnis zu der sie umgebenden Welt haben. Denn diese User neigen dazu ihre Kommunikation mit anderen Menschen auf eine Art zu gestalten, die andere aufregen oder gar verletzten.

Heute Abend hatte ich so einen Fall:

Einer meiner Freunde ist Journalist und betreibt seit vielen Jahren ein Forum. In diesem haben Höflichen Paparazzi die Gelegenheit ihre Geschichten zu erzählen. Es gibt einen Teil davon als Buch oder man konnte sie auch als gesprochenes Wort in diversen Tempeln des Wortes hören. Sie sind einfach lesenswert, eine echte Bereicherung der Welt und ein Musterbeispiel dafür, wozu das Internet dienen kann.

Nun kam am Freitag spät abends eine E-Mail von einem Nutzer mit dem Absender webmaster@sixpack.de. Nennen wir ihn der Einfachheit halber „Joe Sixpack“. Er stellte fest, dass es ein Nutzer seines Namens in der Nutzerliste auftaucht und forderte auf bis zum Montag 12 Uhr die missbräuchliche Nutzung seines Namens zu unterbinden oder er schaltet einen Anwalt ein.

Man stelle mich vor die ultimativen Notwendigkeit mein Wochenende zu unterbrechen und die Menschheit vor dem Auftauchen seines Namens in einem Forum zu schützen. Wohlgemerkt, dieser Nutzer hat nichts im Forum veröffentlicht, es stand nichts ehrenrühriges dabei. Der Name tauchte einfach in der Liste der angemeldeten Nutzer auf. Natürlich weiss ich, dass in manchen Paralleluniversen sicher auf diese Art schon Kriege entstanden sind, daher wandte ich mich mit der notwendigen Ernsthaftigkeit der Prüfung zu.

Daher prüfte ich die Datenbank – den Nutzer gab es wirklich. Laut Online Telefonbuch gibt es nur einen Menschen diesen Namens. Aber laut Internet gibt es viele Menschen die sich mit dem selben Recht auf diesen Nutzernamen berufen dürften wie z.B. eine Ursula Joe-Sixpack. Also könnte sehr wohl ein anderer Nutzer den Namen gewählt haben. Joe Sixpack konnte das nicht sicher wissen, denn er hatte diese Informationen nicht.

Aber nur weil man irren kann, muss man nicht irren:

Im Jahre 1999 hat sich ein Nutzer joe@sixpack.de unter diesem Namen angemeldet. Da ein Double Opt In Verfahren genutzt wird, gibt es nur zwei Möglichkeiten. Der Nutzer hat sich selbst angemeldet und es vergessen oder jemand hatte Zugriff auf seinen Rechner um die Mailbestätigung lesen zu können. Da ich nicht Betreiber des Forums bin, kann ich niemanden löschen. Also wandte ich mich an Herrn Sixpack mit – für mich bei dieser Tageszeit und dem Ton ungewöhnlichen – freundlichen Worte und erläuterte meine Erkenntnisse.

Und dann kam der innere DAU zum Vorschein, der einige Thesen aufstellte:

  • Alle Internet Aktivitaeten seit 1998 sind notiert und bekannt. Man habe sich nie im Forum angemeldet.
  • Dann gebe es auch ein Missbrauch der Maildomain im Forum
  • Man wäre der einzige Mensch dieses Namens – anscheinend auf dem ganzen Planeten, denn bekanntlich kennt das Internet keine Grenzen

Ein typischer Fall, der einen Internet Dienstleister zur Weissglut bringen kann und mir den Samstag abend verderben sollte. Arrogant, offensichtliche Unkenntnis über das Internet, nicht fähig dem geschriebenen Wort zu lauschen und absolut der Meinung keinen Fehler begehen zu können. Der Ton, die Anwaltdrohung, all das was man sicher nicht an den Tag legen würde, wenn man sich als Unbekannter auf der Strasse begegnen wuerde.

Hier wurde ich dann nostalgisch. In den guten alten Tagen, als alle Internetnutzer Deutschlands in einen Hörsaal gepasst hätten, gab es diese Probleme auch schon. Damals wurde die Netiquette entwickelt. Auch heute wird sie immer wieder in den Diskussionen erwähnt, aber wer hat sie eigentlich je gelesen ?

Erst heute erkenne ich in der Netiquette die zeitlose Weisheit, die ich damals nicht in der Lage war zu sehen.

Vergessen Sie niemals, dass auf der anderen Seite ein Mensch sitzt!

Es sind nämlich Menschen, die man nicht kennt und die man beschimpft, verletzt und beleidigt durch so ein Auftreten. Man kann es mit der Netiquette sagen oder mit dem kategorischen Imperativ oder einfach mit den Jesus Worten zum ersten Gebot, in dem er sagt „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“. Alles sagt dasselbe aus:

Menschen und Computer reden nicht miteinander. Menschen reden mit Menschen. Menschen sollen Menschen achten.

Aber auch andere Regeln bringen einen zum nachdenken:

Erst lesen, dann denken. Noch einmal lesen, noch einmal denken. Und _dann_ erst posten!

Das Internet ist wie ein Computer: Dumm. Bekanntlich können Computer ja nicht mal vernünftig rechnen, was jeder weiss der viel mit Zahlen hantiert und die berühmten fehlenden Cent sucht die gerundet wurden. Das macht aber den Teil des menschlichen Körpers um so wichtiger: Das Gehirn.

Damals im Netz – als noch jeder die Netiquette kannte – gab es auch solche Probleme, bis hin zu Hasstiraden und Flamewars. Auch damals sah mal, wieso der Mensch nicht in Frieden Leben kann, gerade wenn er sich nicht in die Augen blickt.

Heute gehe ich mit dem Gedanken schlafen, dass doch jeder Mensch beim Einschalten des Computers nicht das Microsoft-, dass Apple- oder das Pinguin-Logo sehen sollte: Es sollte ihm eine der Regeln aus der Netiquette erscheinen.

Denn so wie früher ein Sklave den römischen Imperator daran erinnern musste, muss der heutige elektronische Sklave den Internet Nutzer daran erinnern:

„Bedenke, du bist auch nur ein Mensch“.

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