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Einmal Babylon und zurueck


Wer eine verstaendige Ausdrucksweise benutzt und wahrgenommen wird,
kommuniziert. Mensch war sich selbst das erste Kommunikationsmedium, blieb es
lange Zeit.

Durch die Schriftsprache wurde das gesammelte Wissen allen zugaenglich. Dieses
einmal geweckte Beduerfnis konnte nicht mehr aufgehalten werden. Lange Zeit war
die Tagesszeitung das einzig sichtbare Zeichen dieser eingeleiteten Vermassung
der Kommunikation.

Waehrend die Schriftsprachen die Gesellschaft nur in Klassen aufteilen half,
wobei jede Klasse sich ihrer Kommunikationsmittel bedienen konnte, waren Radio
und Fernsehen Ursache dafuer, dass auch Kommunikation als Prinzip mit dem Umweg
ueber ein technisches Medium in Dienstanbieter und Konsumenten zerfiel. Radio
und Fernsehen liessen die Welt zusammenruecken, wobei diese Welt immer stummer
wurde.

Gleichzeitig, mit dem Einsatz von Kommunikationsmedien, die Anbieter und
Verbraucher, also die Erzaehlenden, immer weiter voneinander entfremdeten, durch
ihren massenhaften Einsatz und Gebrauch, kam mit Radio und Fernsehen die erste
Akzeptanz scheinhafter Wirklichkeit auf. Was einst Privileg des Kanoniers war,
naemlich das Elend zu sehen, das seine Moerserkugeln ausloeste, dies wurde bei der
Fernseh-Kriegsberichterstattung frei Haus geliefert.

Diese Form der Verstaendigung war der Hoehepunkt einer mehr und mehr zwei-
gesichtigen Kommunikation. Am Fernseher wurden Vergangenheit und Zukunft auf
einen nicht mehr nachvollziehbaren Gegenwartspunkt zusammengestaucht. Diese
Inflation der Werte wurde im gesamten Medienbereich sichtbar. Kommunikation
reduzierte sich auf den Akt der Wahrnehmung, es galt als schick, informiert zu
sein und als dumm, sich nicht der Modeinformationen zu bedienen. Kommunikation,
einst ein stetig wachsender Erfahrungschatz, verkam zur einseitigen Strategie
der Nachrichtenaufbereitung.

Waehrend bei Radio und Fernsehen Gehoer, bzw. Auge noch eine gewisse Unter-
stroemung wahrnehmen konnten, entfiel dies bei der computergestuetzten Tele-
kommunikation endgueltig. Und einen weiteren Eingriff brachte gerade dieses
Medium in die schon so arg gebeutelte Kommunikationskultur. Die endgueltige
Akzeptanz der nur-verbalen Kommunikation als Normalzustand.

Kommunikation, reduziert auf Funktionalitaet? Sollte dies das Medium der Zukunft
sein? Gewiss nicht, erst wurde es noch schlimmer. Die entpersonaliserte
Kommunikation, die sich am geschriebenen Wort orientierte, hatte im Prinzip
keinerlei erzieherischen Effekt. Unvorbereitet torkelten junge wie alte
Menschen vom Nachrichtenkarussell der Telekommunikation. Nicht ahnend, dass sie
dieses Medium haetten geniessen muessen wie ein Buch, nicht wie eine Konferenz-
schaltung am Telefon oder in Radio oder Fersehen. Die computerunterstuetzte
Telekommunikation lockte ebenso Idealisten wie knallharte Geschaeftsleute an.
Es fehlten Modelle, ob nun die Finanzierung betreffend oder den blossen
menschlichen Umgang. In diesem Hexenkessel gingen schlichtweg alle unter, die
sich nicht vorher Gedanken gemacht hatten, was sie mit einer rein
schriftorientierten Kommunikation anfangen wollten.

War computerunterstuetzte Telekommunikation ein sicherer Weg, erzaehlerisches
Kommunizieren wieder gesellschaftsfaehig zu machen? Leider nein, schon bald
zeichneten sich gravierende Kommunikationsstoerungen ab. Die geschaffene
oeffentliche Anonymitaet wurde von vielen als Aufforderung missverstanden, verbale
Aggressionen ohne jede Ruecksicht auszuleben. Andere wiederum verstanden es,
dieses Medium mit ihren politisch und/oder kommerziellen Interessen zu ueber-
fluten, deren Abgeschlosssenheit an die logischen Systeme von Psychopathen
gemahnten. Der Verfall sachlicher Auseinandersetzung neben gezielter Agitation
voller unanfechtbarer Worthuelsen wurde zum kommunikativen Alltag.

Das Anwachsen nicht-gewerblicher Verteilerkreise wurde von Staat und Wirtschaft
nicht gefoerdert, aber geduldet und alsbald genutzt. Geduldet, weil ein kosten-
loses, observierbares Experimentierfeld entstand, genutzt vor allem von der
Wirtschaft, die schnell die Moeglichkeit erkannte, ueber als Produktinformationen
verkleidete Werbung zu verbreiten, und ueber produktorientierte Diskussionsforen
vom Marketing bis zum Produkttest so ziemlich jede produktbezogene Information
zu bekommen. Waren es anfangs Unternehmen der Computerbranche, entdeckten bald
alle Unternehmensbereiche, dass bei einem Mindestmass netzbezogenen Anscheins der
kostenguenstigen Marktanalyse nichts im Wege stand.

Innerhalb weniger Jahrzehnte wurde Telekommunikation zur Alltagserscheinung.
Die Einfuehrung der MUMEBOX (Multi-Media-Electronic-Box) koennen wir als Grund-
stein jener Epoche sehen, die wir gerade beenden. Nicht der Wunsch, die
Telekommunikation zu bereichern, sondern die Einsicht, welches der einzige Weg
zur Profitmaximierung im Unterhaltungsbereich sein konnte, brachte die
bekannten Veraenderungen. Allerdings koennen wir heute sagen, dass die MuMeBox den
Trend zur persoenlichen Isolation erst wirklich ins Rollen brachte, weil es eine
ernsthafte Konkurrenz zum Fernsehen war. Das Zusammenfliessen der vorherigen
Einzelgeraete Radio, Telefon, Telefax und Kabel-Fernsehen zur MuMeBox und der
Uebergang des Zeitungs- und Buchwesens in das ELAV (Electronic-Archiv) beendeten
die Phase, dass Information ohne Selektionshilfen im meist ueberproportionierten
Mass entstanden. Statt einer ganzen Zeitung wurden nur die Artikel, um die es
den einzelnen Menschen ging, auf wiederverwendbaren Schrifttraegern gedruckt,
wie auch ganze Buecher nur noch auf Bestellung gedruckt wurden. Vom Informa-
tionsfluss ueber Bestell-und Rechnungswesen bishin zur Regionalen Lebensmittel-
Verteilerbeobachtung, die MuMeBox veraenderte eine Gesellschaft, die an
drastische Umschwuenge kaum noch glaubte, radikal.

Die auf den ersten Blick multimediale Gesellschaft, jeder Haushalt war zugleich
faehig, als Sendestation zu arbeiten wie auch als Verbraucher zu agieren, wurde
von einem fein ausgekluegelten Preissystem unter Kontrolle gehalten. Der Umwelt-
kollaps hatte Mobilitaet zu einem teuren Privileg werden lassen, und die
globalen Verteilersysteme mit ihren Gebuehrenstrukturen eine Population von
Arbeitsverpfichteten geschaffen. Zwar waren nur knapp 40 Prozent der Menschen
aktiv Arbeitstaetige, von den restlichen 60 Prozent aber nur etwa 5 Prozent frei
von kurz- oder langfristigen Abrufvereinbarungen aufgrund der Kredite fuer
MuMeBox-Lizenzen. Die multimediale Kommunikation hatte eine Gesellschaft
geschaffen, die aeusserlich wie eine Freizeitgesellschaft wirkte, im Kern aber
ein Heer von Dienstverpflichteten darstellte.

Diese zunehmende individuell wie auch klein- und grossgruppenorientierte
Isolation fuehrte unter anderem zu den uns heute bedrohenden Problemen
gentechnischer und pseudofeudaler Natur. Der anscheinende Ersatz persoenlicher
Kommunikation durch MuMeBoxen fuehrte global zu inszestioesen Enklaven, die
Gastpartner in den weniger entwickelten Laendern mieten, um letztlich durch
direkte Kommunikation Immunsysteme und GenPool aufzufrischen, wobei der
Widerstand aus den pseudofeudalen MuMeBox-Enklaven zunimmt. Unsere heutige Zeit
steht vor der krassen Entscheidung, persoenliche, unmittelbare Kommunikation als
einzigen Weg aus dem Isolationskollaps zu erkennen.

Menschen brauchen, um kommunizieren zu koennen, mehr als ein intaktes Immun-
system und einen regenerierten GenPool. Die Art und Weise, mit der das MuMeBox-
Netz in immobilen Hausgemeinschaften erstarrt, ist nicht die Ursache, sondern
das Symptom einer Gesellschaft, die sich in einer kommunikativen Sackgasse
befindet. Es gilt die Voraussetzungen zu schaffen, dass die urspruengliche
Funktion des persoenlichen Erlebens den hoechsten Stellenwert wiedergewinnt.

Was mit dem Datenhandschuh begann und seinen augenblicklichen Hoehepunkt in der
rueckgekoppelten Simulationskammer gefunden hat, es ist ein Irrweg, der nicht
ohne Logik ist, denn die Beherrschbarkeit denkender Menschen geht mit dem
Aufgebot an neuen Vergnuegungen einher.

Die Projekte einiger Randgruppen sollten einer abschliessenden Erwaegung wert
sein. Schaustellwanderer sind von ihrer Grundidee wie besessen. Wie einst
Drehorgelspieler ziehen die Schaustellwanderer von Ort zu Ort, in staendig
wechselnder Gruppengoesse, mal reines Orchester, mal Geschichtenerzaehler, mal
einstudiertes klassisches Ballett, mal erquicklicher Nonsens.

Und wenn ich wie viele andere frage, warum so, wo doch das MuMeBox-Netz reicht,
so bekomme ich die einleuchtende Antwort, weil es das Beduerfnis nach sozialer
Bewegung deckt und die gesellschaftliche Problematik des GenPools wie auch der
Gruppenisolation konkret anfasst. In diesem Sinne kann ich es nur begruessen, dass
das Ministerium fuer Kommunikationsangelegenheiten der Vereinigten Zentral-
regierungen in einem ersten Schritt aktives Schaustellwandern als der All-
gemeinheit foerderliche Dienstleistung anerkennt und die Zonenbegrenzung fuer
Schaustellwanderer aufgehoben hat.

Ich denke, bei aller Skepsis, die schon ein kurzer Abriss der Geschichte der
Kommunikation erzeugen muss, es wird auch ein Zugewinn sein fuer eine
Gesellschaft, die die Mobilitaet der Kommunikation mit ihrer eigensten
Beweglichkeit verwechselt.

Autor: Horst Willenberg (h.willenberg@bionic.zer)

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