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Der Chaos Computer Club in der Krise? - Eine Ueberlegung


Alle Jahre wie der sind Vermutungen ueber Krisen in der Computerindustrie und 
der Szene im Allgemeinen, aber auch ueber eine Krise im CCC im Speziellen den 
Medien zu entnehmen. Bestehen diese Vermutungen zu recht und was waeren die 
Folgen?

Jedes Jahr, meist kurz vor der CeBit, stellen die Medien Ueberlegungen zum 
Thema Computer an; der Termin ist guenstig, alle fiebern einer der 
bedeutensten Messen der Branche entgegen, die Leser wollen informiert werden. 
Warnende Stimmen finden garantiert Gehoer. Der Tenor dieser Berichte gleicht 
sich jedoch auffallend. Die nationale oder europaeische Industrie drohe in die 
Bedeutungslosogkeit abzufallen, wenn nicht sofort gewaltige Anstrengungen 
unternommen wuerden, um dieses vermeintliche Schicksal abzuwenden. So schreibt 
beispielsweise die Wirtschaftwoche ueber die CeBit'91 in der Ausgabe 12 vom 
15.03.91 im Editorial unter der Ueberschrift "Toedliche Gefahr - ueber den 
Abstieg Deutschlands" eine Reihe von Binsenweisheiten ("Der Computer ist das 
Instrument der Informationsgesellschaft, die derzeit die Industriegesellschaft 
abloest" und deren mehr), um dann aber zusammendfassend festzustellen "Statt 
die globale Herausforderung [...] anzunehmen und die zukuenftige Wettbewerbs-
faehigkeit [...] zu staerken, betreiben wir Regionalpolitik. Statt in modernste
Technik zu investieren, bauen wir Strassen und Wohnungen. Die Einheit ist 
ohnehin schon teuer genug, wenn wir darueber unsere Zukunft verspielen, wird 
sie zu teuer!". Und der Spiegel zeichnet  kurz vor der CeBit'92 in Ausgabe 11 
vom 9.Maerz.1992 ebenfalls ein duesteres Bild der deutschen EDV-Branche. 
Befindet sich die deutsche Computer-Industrie also in einer Dauerkrise ohne 
Chance auf einen Ausweg? Es scheint fast so. 

Wenn man einigen Journalisten Glauben schenken darf, dann steckt auch der 
Chaos Computer Club gut 10 Jahre nach seiner Gruendung in einer ernsten Krise. 
Stimmt diese Behauptung?  Wenn ja, was macht diese Krise aus und wie machen 
sich eventuelle Folgen bemerkbar? Betrachten wir dazu den CCC etwas genauer.

Der CCC hat in seiner ueber zehnjaehrigen Laufbahn als Hackervereinigung eine 
Reihe von Wandlungen erfahren, die ebenso stuermisch sind, wie die Entwicklung 
des Mediums Computer. So wird der Weg von der subversiven Vereinigung, die 
sich in erster Linie nur mit "Hacken" beschaeftigte, hin zum eingetragenen 
Interessenvertreter im Deutschen Bundestag nicht nur jene verblueffen, die 
diesen Weg mitverfolgt und mitgetragen haben. Doch der Schein truegt, wenn 
wir glauben, der CCC hat den Schritt vom Haufen unbedeutenden Techno-Freaks 
zum politisch engagierten Interessenverband konsequent umgesetzt. Der CCC 
will den Anspruechen, der er selbst stellt, gar nicht immmer ernsthaft 
gerecht werden. Diese Behauptung klingt zunaechst fragwuerdig, laesst sich 
aber anhand einiger Beispiele leicht belegen. Der CCC reitet auf einer ganze 
Reihe von Mythen und Legenden, die heute noch das Image vom intergalaktische 
Vereinigung verwegenen Hacker, die alle Systeme beherrschen, praegen. Diese 
Tatsache wird auch oft von Kritikern des Clubs als Vorwurf benutzt, das Club 
betreibe nur Konservierung seiner Heldentaten von einst. Seinen oft 
zweifelhaften Ruf versuchte der Club spaetenstens durch Eintragung in das 
Vereinsregister zu wandeln. Die Szene wollte zeigen, dass sie ein ernst-
zunehmender Ansprechpartner fuer alle Probleme der modernen Informations-
gesellschaft sei. Die Congresse jener Zeit machen das auch recht deutlich. 
Der CCC hat schon oeffentlich zu einer Zeit ueber Viren und die dadurch 
entstehenden Probleme diskutiert, noch lange bevor ein Professor einer 
norddeutschen Universitaet ein VirusTestCenter aufgemacht hat. Es war immer 
ein erklaertes Ziel des Clubs Anwender unabhaengig zu beraten und zu Helfen 
ein Bewusstsein fuer die Folgen der Technik zu entwickeln. Trotzdem hat der 
Club nie die ersehnte Bedeutung und Kompetenz in den Augen der Oeffentlichkeit 
erlangen koennen. Durch unentschuldbare Fehler, die vielleicht persoenliche 
Befriedigung bringen moegen, der Sache aber nicht dienlich sein koennen, 
wird immer wieder geleistete Arbeit zunichte gemacht. Noch auf dem Congress 
bestaetigt ein Professor dem CCC anerkennend einen hohen, universitaeren 
Arbeitsstil. 
Derselbe Professor erlaubt sich in der Virendebatte Anfang 1992 eine ziemlich 
unwissentschaftliche Panikmache. Diese Panik kam und kommt noch immer der 
Sicherheitsindustrie und dem Ruf eines VirusTestCenter zugute. Die Sicher-
heitsindustrie meldete noch auf der CeBit'92 volle Auftragsbuecher, das 
VirusTestCenter kann auf eine erfolgreiche Arbeit verweisen und hat bessere 
Chancen, von der Universitaet mehr Mittel zu bekommen. Zweifelhaft bleibt, ob 
beide Parteien in erster Linie an Schadensminimierung gelegen sein kann. Ohne 
Virenpanik keine Anti-Viren-Programme und auch kein VirenTestCenter. Dem 
Anwender, als Opfer und Betroffenem wird erst in zweiter Linie geholfen. 
Der CCC haette den verunsicherten Usern als neutrale Einrichtung unabhaengige 
Hilfe anbieten koennen. Dem CCC ist es nicht ueberzeugend gelungen, die 
Einheitsfront aus VirenTestCenter und Anti-Viren-Programm-Verkaeufern zu 
durchkreuzen und in dieser Situation den Betroffenen mit praktischem Rat und 
Tat zu helfen. Stattdessen wurde auf der Ebene der Diffamierung gearbeitet, 
mit der Folge, dass die weitere Zusammenarbeit fuer die naechste Zeit 
ausgeschlossen scheint. Der Professor, derart ueber diesen die Schlag unter 
die Guertellinie veraergert, reagierte ungewohnt heftig und droht, alle die 
Einladungen abzusagen, bei denen auch der CCC geladen ist. Das BSI, das 
beide Parteien eingeladen hat, ist nun in der Klemme, wie beide Parteien fuer 
das naechste Treffen in Boppard wieder an einen Tisch zu holen sind. Dieser 
ganze Aerger waere durch ein bisschen mehr Besonnenheit vermeidbar gewesen. 
Wer wirklich ernst genommen werden will, sollte auf dieses Kleinkinder-Getue 
verzichten. Peinlich ist, dass auch ein Professor nicht ueber dieses Gekasper 
erhaben ist und nun versucht, auf der Ebene des Intrigenspiels von sich reden 
zu machen. Dumm daran ist fuer den CCC, dass der Professor schon aufgrund 
seiner Position auch weiterhin ernstgenommen wird, so haben wir in dieser 
Runde eine Niederlage nach Punkten einstecken muessen. Der CCC muss diese 
Scharte muehsam durch harte Arbeit auswetzen.  Harte Arbeit ist auch bei der 
Chaos-Arbeit nichts Neues, doch erlaubt sich der CCC oft einen sehr 
ineffektiven Arbeitsstil. Um ein Ziel moeglichst guenstig zu erreichen, muss 
manchmal sorgfaeltig nachgedacht werden, bevor(!) irgendwelche Aktionen 
begonnen werden. Sonst wird mit einem punktuellen Riesenaufwand ein 
laecherlich geringes Ziel erreicht. Der CCC lebt nicht im Ueberfluss. Mit 
knappen Resourcen ist strategisches Denken und taktisch kluges Handeln um so 
wichtiger. 

Eine wirklich funktionierende Infrastruktur ist oft nicht erkennbar. Das wird 
immer dann schmerzlich erkennbar, wenn "irgendwo in der Welt ein Bit umkippt 
und beim CCC die Telefone heisslaufen". Das C-Net, eine Brettersammlung mit 
chaosrelevanten Inhalten, das zur chaos-internen Abstimmung und Nachrichten-
austausch dient, bricht spaetestens dann zusammen, wenn es besonders dringend 
gebraucht wird. Meistens aus Gruenden, ueber die jeder richtige Hacker nur 
traurig weinen wuerde: mal ist die Platte voll, weil "vergessen" wurde, das 
System zu warten; die Hardware ist stabil wie ein Kartenhaus; ist das System 
einmal abgestuerzt, dann sind die Sicherheitskopien entweder nicht da, oder 
hoffnungslos veraltet. Diese Auzaehlung liesse sich beliebig fortsetzen. Ein 
schneller Informationsaustausch wird auch noch durch andere widrige Gruende 
behindert. Faxgeraete, die keiner bedienen kann, weil die Handbuecher fehlen, 
Kopierer, denen das Papier fehlt, Menschen, die nicht zusammenarbeiten wollen, 
weil es so etwas wie ein Kleinfuerstendenken auch im Club gibt. Auf globale 
Herausforderungen - und im immer dichter werden Computerdschungel sind 
Computerunfaelle nicht mehr oertlich begrenzbar - reagieren wir bestenfalls 
lokal, falls ueberhaupt. Der Club hat keine fertig ausgearbeiteten Szenarios, 
es existieren kleine Planspiele, wie im K-Fall zu handeln ist, er verfuegt 
nicht ueber Moeglichkeiten in Krisenzeiten schnell und (!) sicher 
Informationen zu veroeffentlichen, es fehlt ein aktueller Presseverteiler 
und ein chaos-sicheres Verfahren, diesen effektiv nutzen zu koennen. Zwar ist 
all dieses Wissen in den Koepfen verschiedener Mitglieder teilweise schon 
vorhanden, doch der Club als uebergeordnetes Ganzes hat dieses Wissen nicht 
in der noetigen Form vorliegen. Nach Murphy, der bekanntlich ueberall ist, 
sind genau die Clubmitglieder dann nicht da, die das zur Zeit wichtigste 
Wissen haben. Im Ernstfall kaempft der Club mit der Konvertierung von Texten 
zwischen den verschiedenen Rechnersystemen. Fuer inhaltsbezogene Arbeit, die 
eigentliche Aufgabe des Clubs (denn Technik ist kein Selbstzweck mehr, auch 
wenn das noch nicht allgemein bekannt ist), bleibt keine Zeit (mehr). Andere 
Organisationen verfuegen ueber gut gepflegte Kontakte, ein funktionierendes 
technisches System und koennen so oft viel schneller agieren. Dem CCC bleibt 
nur das Reagieren(!). Wenn wir das Heft des Handelns aus der Hand geben, dann 
verkommen wir zum Nachlaeufer, der bestenfalls bereits verbreitete Nachrichten 
kommentieren darf, schlimmstenfalls muessen wir uns selbst aus der Presse 
informieren; anstatt selber die entscheidenden Informationen zu publizieren. 

Aktives Handels setzt eine gewisse Beweglichkeit voraus, nicht nur die Technik 
muss flexibel sein, auch die Gedanken der Menschen, die hinter dieser Technik 
stehen. Beton in unseren Koepfen bringt uns nicht weiter. Altherrenriegen 
verschwinden, wie die juengste Vergangenheit zeigt, immer recht bald auf der 
Muellkippe der Geschichte. 

Leider hinterlassen sie dabei meist einen Truemmerhaufen, den die folgenden 
Genarationen dann muehsam wegraeumen muss. Neue Ideen sind gefragt, wir 
muessen uns jeden Tag neu pruefen, ob unsere Gedanken noch zeitgemaess sind, 
sonst verlieren wir den Draht zur Realitaet, und das im wahrsten Sinn des 
Wortes. War vor wenigen Jahren noch Geheimhaltung von technischen 
Erkenntnissen wichtig, um ungebetenen Besuch zu verhindern, so muessen wir 
jetzt als gebetener Besucher mit diesen Erkenntnissen auftreten, um zum 
Beispiel dem Datenschutzbeauftragten das Moeglichkeiten von Cityruf zu 
demonstrieren. Das CCC hat das Wissen und die moralische Verpflichtung, um 
diese Aufgaben zu erfuellen. Wer sonst, wenn nicht wir soll diese Aufgaben 
wahrnehmen? Die Telekom, das BSI, die Computerindustrie? Aber haben wir die 
dafuer notwendigen Strukturen? Der ADAC, die selbsternannte Institution der 
Autofahrer, sitzt heute als Berater in jedem Gremium, das auch nur im 
Entferntesten mit Verkehr zu tun hat. Keine Strasse, kein Gesetzentwurf zum 
Thema Auto, bei dem der ADAC nicht die Finger mit im Spiel hat. Unabhaengig, 
ob uns gefaellt, WAS der ADAC macht, von der Art, WIE es gemacht wird koennen 
und sollten wir eine ganze Menge lernen. Diese Institution arbeitet fast 
perfekt, macht ausgezeichnete Pressearbeit, bringt monatlich eine Mitglieder
zeitschrift heraus, die sich sehen lassen kann, bietet einen guten Service. 
Aber wir brauchen gar nicht so weit zu suchen, Beispiele einer deutlich 
besseren Arbeit finden wir schon im Teuteburger Wald. Dort gibt es einen 
kleinen, aber feinen Computerclub, der es sogar geschafft hat, das Geld 
fuer einen Messestand auf der Cebit zu organisieren. 

Woher bekommt dieser Club sein Geld? 

Aus vier Quellen: 
 
- zum einen von seinen Mitgliedern, genau wie der CCC, auch 
  wenn es dort weniger Mitglieder sind; 
- durch seinen funktionierenden Bestellservice, der jeden Vergleich stand-
  haelt, im Gegensatz zu manch anderem; 
- durch regelmaessige Public-Domain-Treffen, bei denen auch immer Geld in die 
  Kasse kommt; 
- und letztlich von einem Sponsor. Sponsoring kann leicht in die Abhaengigkeit 
  fuehren,  dieses Problem scheint mir aber doch im Moment recht gut geloest. 
  Noch sind sie unabhaengig genug, um chaos-compatibel sein zu koennen. 

Stecken wir den Kopf nicht in den Sand. Wir als Chaos Computer Club haben ein 
breites Spektrum von Mitgliedern, haben teilweise modernste Technik, aber was 
machen wir daraus? Die Datenschleuder, das wissenschaftliche Fachblatt und 
Aushaengeschild des Clubs, gleicht manchmal dilletantischen Versuchen auf 
Schuelerzeitungsniveau. Und das nicht nur in Layout und Satz. Laserdrucker 
scheinen der Redaktion nicht immer zur Verfuegung zu stehen.Und unserer 
Bestellsercive duerfte der Bezeichnung "Service" auch viel zu selten gerecht 
werden. Es liegt einiges im Argen, aber Besserungen sind erkennbar. So gesehen 
befindet sich der CCC in der Krise. Aber diese Krise ist nicht das Ende. 
Vielmehr sollte sie als Chance verstanden werden, auch als Chance fuer einen 
Neubeginn. Wir haben einiges erreicht, duerfen aber jetzt nicht stehen bleiben. 

                                                        Nikolaus Bernhardt


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