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Realnames - ein Garant fuer Niveau?

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Unlaengst war im MagicNET eine Nachricht zu lesen, in der ein User die These
aufstellte, dass alle User mit einem Phantasienamen (Pseudo) 'Kinder' waeren
und nicht faehig, die DFUe als ernsthaftes Medium zu nutzen. Auf diese Nach-
richt hagelte es Dementis - natuerlich von sog. 'Pseudos'. Da in den Wider-
legungen wiederum die Realname-User angeriffen wurden, entbrannte ein zeit-
weise heftiger Streit. In diesem tauchte dann immer wieder die Frage auf, ob
durch die Benutzung von Realnames auch das Niveau einen Netzes bzw. der darin
geschriebenen Nachrichten steigt.

Die anfangs sachliche Diskussion versackte dann in sarkastischen Flames und
Beleidigungen - beide Seiten verhielten sich mehr oder weniger so, wie sie
es der jeweiligen Gegenseite vorwarfen.

Dennoch halte ich das Thema 'Sind Netze mit Realname-Pflicht anspruchsvoller'
fuer recht interessant und moechte versuchen, dieser Frage einmal nachzugehen.

Ein oft gebrauchtes Argument fuer Realnames war: "Wenn man unter seinem
eigenen Namen schreibt, dann kommt man nicht so leicht in Versuchung,
Beleidigungen und unqualifizierte Nachrichten zu schreiben, weil man ja durch
den Realname keine Anonymitaet besitzt". Das Gegenargument der Pseudos lautete
dann, dass es ueberhaupt nicht so sei, weil der Pseudoname zwar eine gewisse
Anonymitaet bietet, aber der User eben durch sein immer gleiches Pseudo
identifiziert wird. Es sei schliesslich egal, ob man sich unter 'Hubert
Mueller' oder 'Smurf' den Ruf in dem Netz ruiniert. Ausserdem, so die Pro-
Pseudo-User, koenne man ja anhand bestehender Realname-Netze wie z.B. dem
FIDO sehen, dass das Niveau durch Realnames nicht unbedingt gesteigert wird.

Als Pro-Argument fuer Pseudos wurde immer wieder auf 'das Schuetzen muessen'
hingewiesen. Gemeint wurde damit die illegale Benutzung der Modems, den
wahrscheinlichen Besitz von Raubkopien u.ae. - argumentiert wurde meistens,
dass dieses 'damals, in der Anfangszeit der DFUe' der Fall war, aber einige
User machten darauf aufmerksam, dass auch heute die meisten Modems illegal
betrieben werden.

Ebenfalls als Pro-Argument konnte man lesen, dass ein Pseudonym dem
'Selbstschutz' dient. So wurde ein User bei einer Diskussion mit Rechts-
radikalen ueber das Netz massiv bedroht, so dass er gluecklich war, keinen
Realnamen benutzt zu haben; Ist es doch ein leichtes, den Standort der
Box herauszufinden und dann ggf. den Realname im Telefonbuch nachzuschlagen.
Allerdings duerften solche Faelle die Ausnahme darstellen, so dass man sie
fast ausser acht lassen duerfte.

Neben diesen, eigentlich nebensaechlichen, Argumenten wurde dann darauf
hingewiesen, dass es durchaus auch presserechtliche Probleme geben kann.
Wie das wohl mit den Urheberrechten an Texten sei, unter denen 'Smurf'
als Absender steht, wurde gefragt. Von der 'anderen Seite' wurde dann
entgegnet, dass ein 'Konsalik' auch nur ein Pseudonym ist, so dass man
diesen Aspekt beiseite lassen kann. Tatsaechlich ist es so, dass lediglich
der Absender erkennbar sein muss - und das ist bei Nennung der Box und
des Usernamens gegeben - ist doch der User mit seiner Anschrift dem
SysOp der Absender-Box bekannt. Sollte naemlich ein User mit seinen Texten
gegen existierende Gesetze verstossen (z.B. Volksverhetzung) ist keineswegs
der SysOp verantwortlich, sondern der Absender selbst - da Mailboxen nicht
dem Presserecht unterliegen, MUSS der SysOp in einem solchen Fall die
Identitaet des Absenders preisgeben (siehe dazu Artikel in der Chalisti 11).
Aus dieser Sicht gesehen ist es also egal, ob man einen Realnamen oder ein
Pseudonym benutzt. Haftbar ist man sowohl in dem einen als auch in dem 
anderem Fall.

Ein Grund, der fuer die Benutzung von Realnamen spricht, ist eher psycho-
logischer Natur: So macht es einfach einen serioeseren Eindruck mit einem
'Hubert Mueller' ueber die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung zu dis-
kutieren als gleiches mit einem 'Smurf' zu tun. Auch steht die Aussage, man
habe schiesslich einen Namen bekommen, mit dem man auch im 'normalen' Leben
unterwegs ist - und diesen koenne man dann auch in der DFUe benutzen.
Sicherlich wird sich keiner bei seinem neuen Arbeitgeber mit "Guten Tag, mein
Name ist Smurf" vorstellen.

Und genau das ist vermutlich der springende Punkt: Es kommt darauf an, zu
WAS man DFUe betreibt. Wenn sich jemand nach dem taeglichen Stress an den
Computer setzt um einfach 'mal abzuspannen', dann ist es sein Hobby - und
dabei geht es sicher darum, 'abzuschalten' - und hierfuer ist ein Pseudonym
ideal geeignet. Anders verhaelt es sich bei Studenten, die sich in diversen
Netzen tummeln und mit diesen Netzen (mehr oder weniger :-)) arbeiten.

In diesen Netzen werden gehaltvolle Informationen ausgetauscht, die man
zum 'Arbeiten' benoetigt, die aber fuer die Mehrheit der DFUe'ler nicht von
Interesse sind. Der Hobby-Nutzer dagegen arbeitet mit den Informationen
nicht, sondern moechte einfach nur talken und sich ueber dies und das
informieren - ohne, dass er in eine Materie tiefer eintauchen muss.

So kommt es wohl zustande, dass in Hobby-Netzen viele Pseudo-User unterwegs
sind, in anderen Systemen, die nicht ausschliesslich fuer Freizeit-Zwecke
gedacht sind, eben Realnamen die Regel sind.

Das aber nun mit 'niveaulos' oder 'niveauvoll' zu umschreiben halte ich fuer
falsch - vielmehr handelt es sich um zwei verschiedene Arten der DFUe, von
denen jede ein anderes Ziel verfolgt, die sich nicht miteinander ver-
gleichen lassen.
Allerdings gibt es auch Hobby-Netze, in denen ein Realname Pflicht ist,
so dass man vielleicht auch sagen kann, dass die Entscheidung, ob Realname
oder Pseudonym einfach der Mentalitaet des/der Netz-Gruender/s unterworfen
war.

Fazit:
So oder so, das Niveau eines Netzes hat nichts mit Realnamen oder Pseudos
zu tun. Intelektuelle findet man in jedem Netz sicher ebenso wie Proleten.

(Wizard, 25.05.91, 01:20)

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