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Computernetze

   Die zweite industrielle Revolution kommt zu den Studierenden

Im Jahre 1969 begann mit der Einrichtung des ARPANET der Einsatz von
Computernetzen in der Forschung. In den darauf folgenden 10 Jahren
wurden diese Netze fuer neue und besondere Arten der Zusammenarbeit
zwischen weit voneinander entfernt arbeitenden Forschern in den USA
verwendet. Und in den 80er Jahren wurden Netze an Universitaeten ueberall
in der Welt eingesetzt, nicht mehr nur durch Forscher, sondern auch durch
Studierende, die an Computern arbeiteten. Die Verwendung von Computern und
Computernetzen und die Geschwindigkeit, mit der diese Werkzeuge in immer
kuerzeren Zyklen immer schneller wurden, haben einen Einflusz darauf, wie
geforscht und gelehrt wird.

Dies eroeffnet einen neuen Verantwortungsbereich fuer Studierenden-
vertretungen.

Derzeit betrachtet man Computer und Netze nicht als Infrastruktur,
die auch jedem Studierenden so zur Verfuegung stehen musz wie z.B. die
Buecherei zur Verfuegung steht. Es ist jedoch durchaus plausibel, dasz
in Kuerze Computer und Netze in jeder Wissenschaft eingesetzt werden,
immer zur Textverarbeitung, meist auch um Daten zu verarbeiten und
manchmal auch fuer grosze numerische Probleme (als der dritte Weg
zu wissenschaftlicher Erkenntnis neben Theorie und Experiment -
Simulation). Als naechster Schritt kommt die totale Abhaengigkeit
von Computern bei der Durchfuehrung wissenschaftlicher Arbeiten.

Und Computer und Netze werden nicht mehr nur fuer Datenverarbeitung
und Rechenleistungen benoetigt. Das Netz ist auch ein voellig neues
Medium, welches fuer die sogenannten computer-vermittelte Kommunikation
(CMC) [JSQ90] verwendet wird. Die kurzlebigen Nachrichten der heutigen
Zeit sind direkte Folgen des breiten Einsatzes von Computernetzen, der
breiten Flut von wissenschaftlich-technischer Information in den
Stundenplan jedes Studierenden.

Zum Beispiel bildeten sich am 16. Januar 1991 ca. 20 Minuten nach dem
Beginn der alliierten Bombardements auf den Iraq eine weltweite
direkte Konferenz mit Hilfe des Internet Relay Chat. Ca. 100 Menschen
diskutierten und sammelten alle moeglichen Informationen der
verschiedensten Medien (Fernsehen, Rundfunk uvam), darunter Teilnehmer aus
Asien, Australien, Europa, Israel und besonders viele aus den USA.
Die Konferenz dauerte ca. vier Wochen und war ein sehr gutes Forum
fuer alle, die ueber den Golfkrieg informiert bleiben wollten.

Studierendenvertretungen als die Verteidigerinnen der Rechte Studierender
mueszen zu dieser neuen Technologie einen Standpunkt beziehen. Mensch
koennte vorziehen, diese Situation mit dem Gedanken zu ignorieren,
dasz mensch selbst noch davon kommen kann, ohne in Kontakt mit
Computern und Netzen gekommen zu sein. Dies ist sicher nicht sehr
hilfreich fuer Studierendenvertretungen, denn diese mueszen im Interesse
derjenigen, die sie vertreten, vorrausdenken. Das Thema dieses
Artikels ist nicht, festzustellen, ob Computer und Netze nun gut
oder schlecht fuer Studierende ist (Ich weisz es ja gar nicht !).

So kann es durchaus ein hehres und gutes Ziel sein, dem Einsatz von
Computern und Netzen mit den entsprechenden Auswirkungen in der Forschung
und damit auch in der Lehre einen Riegel vorzuschieben. Nur sieht
es derzeit von meiner Perspektive so aus, dasz dieser Zug schon laengst
abgefahren ist. So bezeichnet z.B. der Report [RARE91] der Europaeischen
Technischen Planungsgruppe an die Netzwerkorganisation der Europaeischen
Gemeinschaft, RARE, Studierende als moegliche Nutzer eines zukuenftigen
Hochgeschwindigkeitsnetzes. Studierende werden aber nicht gefragt, ob
sie soetwas ueberhaupt wollen. Und Studierende sind nur eine von vielen
Gruppen, die in diesem Papier als moegliche Nutzer erwaehnt werden.
Also wird dieses Netz aufgebaut, selbst wenn Studis sich aktiv gegen
die Einrichtung dieses Netzes stellen wuerden.

Daher meine Schluszfolgerung: Studierendenvertretungen mueszen sich
in die Gestaltung und den Aufbau von Computer- und Netzinfrastruktur
einmischen.

Der erste Schritt fuer Studierendenvertretungen ist es, gleiches Recht
auf Zugriff zu Computer- und Netzwerkeinrichtungen fuer alle Studierende
zu fordern, unabhaengig von deren Fachbereich und den Vorlesungen, die
sie gerade besuchen. Der Zugriff und die Verwendung solcher Einrichtungen
musz frei und ohne Einschraenkungen moeglich sein, so wie z.B. die
Universitaetsbiblothek oder die Vorlesungen frei zugaenglich sind.
Ist dies nicht erfuellt, so werden diese Einrichtungen von den
Fakultaeten dazu verwendet, Studierende in bestimmte Arbeitsfelder zu
draengen, so wie es derzeit mit Raeumen und Hiwi-Jobs gemacht wird.
Natuerlich heiszt Recht auf Zugriff nicht, dasz jedeR unbeschraenkt
Rechenzeit und Plattenplatz verschwenden darf, sondern dasz die Basisdienste
wie Elektronische Post, Textverarbeitung, Zugriff auf Informationsdienste
usw gewaehrleistet bleiben. Diese Grundrechte sollten an allen
Universitaeten in gleichem Masze verwirklicht werden.

Zweitens sollten Studierendenvertretungen selbst damit beginnen,
auf dem Netz Informationsdienste fuer Studierende anzubieten sowie
die Moeglichkeiten des Computereinsatzes und der Netzdienste
fuer die taegliche Arbeit in einem positiven Sinn anzuwenden und
dadurch moegliche Formen und Methoden der Nutzung mitzugestalten.
Studierendenvertretungen koennen selbst dadurch demokratischer
und besser erreichbar werden, indem man solche Technologien
richtig und ausgewogen einsetzt. Die Beteiligung der Studierenden
an Entscheidungen kann direkter werden und die Studierenden koennen
detailgenauer informiert werden. Der Informationsaustausch zwischen
Studierendenvertretungen kann bei gemeinsamen Aktionen und Entscheidungen
gegen neue Gesetze, Verordnungen und selbst bei brutaler Gewalt der
Behoerden auf lokaler und ueberregionaler Ebene helfen (z.B. Chinas
Demokratiebewegung im Jahre 1989).  Studierendenvertretungen koennen sich
sogar auf globaler Ebene fuer das Recht auf Ausbildung und die
Verantwortung der Wissenschaft fuer ihre Ergebnisse organisieren. Studi-
Organisationen koennen keine detailierten und ausgefeilten Broschueren auf
Papier herausbringen und europa- oder welt-weit verteilen, weil dies viel
zuviel Arbeit an lokaler Stelle bedeuten wuerde und zu hohe Kosten. Und
niemand organisiert Studi-Meetings auf europaeischer Ebene mit 6 Millionen
TeilnehmerInnen. Auf Computernetzen hingegen finden taeglich schon
Diskussionen und Entscheidungsprozesse solcher Art statt.

Der letzter Punkt betrifft Studis und Studierendenvertretungen als die
ersten Nutzer dieses neuen Mediums, die damit mitverantwortlich werden
gegenueber den weitreichenden Auswirkungen, die diese Technologie
langfristig auf die gesamte Gesellschaft haben kann.  In einer
Veroeffentlichung [RAND85] der Rand Cooperation, einer Organisation, die
elektronische Post seit deren ersten Anfaengen nutzt, kann mensch die
folgende Beobachtung finden: "Traditionell haben Organisationen den
Informationsflusz entlang hierarchischer Organisationsstrukturen gefuehrt
und gefiltert. [...] Werden neue Informationsfluesze, die durch diese neue
Technik einfacher und manchmal anonymer flieszen koennen, diese
traditionellen hierachischen Strukturen aufbrechen ? Ist dies gut oder
schlecht ? Fuer wen ?" - Die Antwort zu dieser Frage kenne ich nicht, doch
zumindest fuer Studierendenvertretungen und andere "cooperate actors"
[GI90b] ist diese Aufloesung hierarchischer Strukturen ein mir
willkommener Effekt. Fuer Studierendenvertretungen waere es eine
Herausforderung, solches zu versuchen und fuer viele andere
Organisationen waere es notwendig.

An dieser Stelle ist eine laute Warnung angebracht. Positive Auswirkungen
bei der Anwendung der Computer- und Netzwerktechnologie erscheinen nicht
automatisch, indem mensch anwendet. Die Anwendung kann im Gegenteil sogar
hierarchische und starre Stukturen unterstuetzen, auf die mensch dann
sogar Worte wie Oligarchie oder Diktatur anwenden koennte; in manchen
Faellen passiert das bereits [LPF91]. Im Gegensatz dazu mueszen wir daher
einen Weg finden, diese Technologie verantwortbar in groszem Rahmen
einzusetzen.

[JSQ90] J.S.Quaterman, The Matrix, Computer Networks and Conferencing
        Systems Worldwide, Digital Press 1990
[GI90a] Neil Postman, Informing ourselves to death, Hauptvortrag, 20te
        Jahrestagung der Gesellschaft fuer Informatik (GI)
[GI90b] Prof. Cornell, im Workshop Gesellschaftliche Auswirkungen der
        Informatik, 20te Jahrestagung der Gesellschaft fuer Informatik (GI)
[RAND85] Shapiro, Anderson, Towards an Ethics and Etiquette for Electronic
        Mail, Rand Corp., 1985
[RARE91] European Engineering Planing Group, Final Report, 2 May 1991
        via EEPG-List at SEARN.bitnet
[LPF91] League for Programming Freedom, Monopolies on Writing Programs -
        How to Protect Your Freedom to Write Software, Rede in Frankfurt
        von Richard M.Stallman, Juni 1991

Autor: Pi, pi@helpdesk.rus.uni-stuttgart.de

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